Eine kleine Weihnachtsgeschichte

Aber Weihnachten, liebe Zeitgenossen, wollen wir uns mal was leisten!
Mehl und Rindertalg wird gekauft und für zehn Pfennig Hefe. Das wird ein Fest!
(Lachen von rechts)
Was gibt es denn da zu lachen? Können wir uns das etwa nicht erlauben? Wir haben’s doch
und brauchen nicht zu sparen! Einmal im Jahr können wir schwelgen. Wir kaufen sogar
Zucker und Rosinen! Dann können die Frauen aber backen!
(Gelächter, Zurufe: Nusstörtchen, Schokoladentorte, Mandelmakronen!)
Wie bitte? Unterbrecht mich doch nicht immer. Ich fasse die Zutaten noch einmal zusammen:
Mehl, Zucker, Hefe . . .
(Lachen von links. Zwischenrufe: Haben wir alle Tage! Aus welchem komischen Kochbuch
haben Sie überhaupt Ihr Festtagsrezept?)
Aus Roseggers Waldbauernbub, aus dem Kapitel „Als ich Christtagsfreude holen ging“. Ihr
kennt es alle, habt es schon als Kinder gelesen. Erinnert ihr euch, wie der kleine Michael am
Heiligen Abend drei Stunden weit durch Schnee und Dunkelheit stapfte, um die erwähnten
Sachen einzukaufen, und drei Stunden wieder zurück?
Wenn aber das, was bei Roseggers nur einmal im Jahr auf den Tisch kam, für euren
Weihnachtstisch nicht genug ist, weil ihr es alle Tage habt . . .
(Zwischenruf: Was heißt alle Tage? Haben wir überhaupt nicht. Ist für alle Tage viel zu
schlecht. Wer will denn noch Rindertalg? Ist gut für die Seifenfabrik.)
Wenn es so ist, muss euer Glück ja kaum zu fassen sein.
Wir wollen es einmal überschlagen. Was der Waldbauernbub auf seinem Rücken heimtrug,
schien ihm ein großer Segen und Reichtum, den die Mutter in herrliche Festtagsgenüsse
verwandeln würde, und deshalb nannte er seinen beschwerlichen Weg einen Freudenmarsch.
Er war glücklich wie nie. Und doch war sein Bündel nur ein Hundertstel von dem wert, was ihr
zu Weihnachten heimtragt.
Demnach, liebe Zeitgenossen, müsstet ihr hundertmal glücklicher sein als er! Oder wie?
Ist vielleicht ein Rechenfehler in meiner Rechnung?
(Schweigen. Keine Zwischenrufe mehr).